«An der Börse gewinnen eher die Demütigen, die die Grenzen ihrer Kompetenzen realistisch einschätzen.»

Editorial ■

Martina Müller-Kamp

Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799) sagte einmal: «Der Mensch ist verloren, der sich früh für ein Genie hält.» Heute schmunzeln wir über dieses Zitat. Alle kennen doch die Untersuchung, in der bei der Frage «Gehören Sie zur besseren Hälfte der Autofahrer?» stets eine Mehrheit mit Ja antwortet. Dahinter steckt der sogenannte Dunning-Kruger-Effekt, benannt nach einer Publikation von David Dunning und Justin Kruger aus dem Jahr 1999. Die Psychologen führten mit Studentinnen und Studenten mehrere Tests in verschiedenen Disziplinen durch. Nach jedem Test sollten die Teilnehmenden beurteilen, wie sie im Vergleich zu den anderen abschnitten. Das erstaunliche Ergebnis: Fast alle Testpersonen hielten sich für besser als 60 bis 70 Prozent der anderen – egal, bei welcher Frage.

Auch an der Börse überschätzen wir unsere Fähigkeiten masslos. Anlege­r­innen und Anleger versuchen, mit der gezielten Auswahl von Aktien und anderen Wertpapieren den Markt zu schlagen, und vernachlässigen dabei die Grundregeln der Diversifikation. Andere Finanzmarktteilnehmende setzen bevorzugt auf Aktien von Unternehmen, die sie gut zu kennen glauben. Oder Anlegerinnen und Anleger versuchen, durch «Market Timing» ihre Rendite mittels Ein- und Ausstiegen zum richtigen Zeitpunkt zu verbessern.

In der Praxis schlagen all diese Strategien oftmals fehl, wie wissenschaftliche Studien gezeigt haben. Spannend ist: Werden die Probandinnen und Probanden mit ihrer eigenen Selbstüberschätzung konfrontiert, so korrigieren sie ihre Wahrnehmung nicht. An der Börse gewinnen aber eher die Demütigen, die die Grenzen ihrer Kompetenzen realistisch einschätzen. Frei nach Sokrates: «Ich weiss, dass ich nichts weiss.»

Martina Müller-Kamp

Leiterin Geschäftseinheit Marktleistungen Mitglied der Geschäftsleitung