■ Im Fokus
«Negativzinsen gehören wohl bald der Vergangenheit an»
Die Zeit von Null- und Negativzinsen geht zu Ende: Nach einer anhaltend hohen Teuerung erzeugte auch der Ukraine-Krieg Druck auf die Währungshüter. So hat die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) im März den Leitzins erstmals seit 2018 erhöht. Doch was bedeutet die Zinswende für die Zukunft? Im Gespräch mit Adrian Schneider, Leiter des GKB Investment Center, diskutiert Prof. Dr. Aymo Brunetti, Ökonom und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bern, die Aufgaben und die Rolle der Notenbanken, ihre Geldpolitik und die Auslöser und Auswirkungen der Inflation.
«Eine Deflation gab es nie.»
Prof. Dr. Aymo Brunetti, Direktor des Volkswirtschaftlichen Instituts der Universität Bern
Interview: Jeannine Mülbrecht Fotos: Ethan Oelman
Spätestens seit der Eurokrise steht die expansive Geldpolitik der Zentralbanken in der Kritik – zu Recht, findet Aymo Brunetti: «Aufgrund von Deflationsängsten haben die Zentralbanken die expansive Geldpolitik nach der Eurokrise 2013/14 beibehalten – meines Erachtens waren die deflationären Risiken aber völlig überzeichnet.» Zu den jahrelang tiefen Zinsen und dem Liquiditätsüberhang kam die Covid-Krise, welche die expansive Geldpolitik weiter anheizte. «Die Zentralbanken hinken mit den Zinserhöhungen hinterher; vor allem auch darauf ist die ausser Kontrolle geratene Inflation zurückzuführen», so Brunetti. Dass die Inflation so lange auf sich warten liess, liegt daran, dass das überschüssige Geld bisher nicht in die Realwirtschaft gelangte. Banken behielten Überschussliquidität seit der Finanzkrise in ihren Bilanzen und investierten es an den Finanzmärkten. «Zwar kam es so zu keiner Konsumentenpreisinflation, doch die Preissteigerung in praktisch allen Anlageklassen war deutlich stärker, als durch die Wirtschaftslage gerechtfertigt», so der Ökonom. Und weiter: «Die Zentralbanken haben keine Ziele für die Anlagepreisinflation, entsprechend schien es nie Handlungsbedarf zu geben.» Schneider wirft ein, dass in diesem Jahr der lange ausgebliebene Inflationsprozess deutlich in Gang kam. Nun dürften die historisch hohen Bewertungen in unterschiedlichen Anlageklassen wie zum Beispiel Immobilien oder Aktien auf die Probe gestellt werden. «Die Chance auf eine schrittweise Normalisierung der Anlagepreise wird immer kleiner, je länger die Zentralbanken mit der Zinserhöhung zuwarten», kommentiert Brunetti.
Steckbrief Prof. Dr. Aymo Brunetti
Funktion: Professor am Departement Volkswirtschaftslehre und Direktor des Volkswirtschaftlichen Instituts der Universität Bern
Jahrgang: 1963
Familie: Zwei Kinder
Ausbildung: Studium, Doktorat und Habilitation in Nationalökonomie an der Universität Basel. Visiting Scholarship am Department of Economics der Harvard University.
Von Deflation zu Inflation – Megatrends als strukturelle Treiber
Bisher galten strukturelle Treiber wie die Digitalisierung, die demografische Entwicklung oder die fortschreitende Globalisierung als Deflationstreiber, weshalb Inflationsängste häufig als übertrieben dargestellt wurden. Hier ist laut Brunetti Vorsicht geboten: «Die bisher preisdämpfenden Kräfte der letzten 10 bis 15 Jahre fangen nun an, inflationär zu wirken.» Beispielsweise befanden sich die Babyboomer in der Vergangenheit im Arbeitsprozess und haben für ihre Pension gespart – ein klarer Sparüberhang in einer grossen Altersgruppe. Die Babyboomer werden nun nach und nach pensioniert und geben ihr Erspartes aus, womit die demografische Entwicklung strukturell zur Inflation beiträgt. Bei der Globalisierung sieht es ähnlich aus: Die Integration von China und Indien in die Weltmärkte führte aufgrund der zusätzlichen Güter zu einer Preisreduktion und damit zu Deflationsdruck. Durch die Pandemie und zuletzt den Ukraine-Konflikt kommt es nun zu Tendenzen der Renationalisierung und Deglobalisierung – Bewegungen, die inflationär wirken.
Schuldenproblem gelöst?
Inflation birgt immer eine Umverteilung – Sparerinnen verlieren real Geld und Schuldner, zum Beispiel der Staat, sind die Profiteure. Schneider spricht den Eindruck vieler Sparerinnen und Sparer an, dass Staatsschulden so «weginflationiert» werden können. Laut Brunetti ein zu kurzfristiges Argument: «Früher oder später müssen Schulden refinanziert werden. Das wird bei Zinserhöhungen problematisch.» Ausserdem, so Brunetti, sind Regierungen nicht nur Finanzministerien, sondern eben auch Wirtschaftsministerien – und für das Allgemeinwohl zuständig. Selbst wenn Inflation die Schuldenlast kurzfristig erleichtert, bedeutet Inflation eine Verschlechterung der Situation der Gesamtbevölkerung und eine problematische Umverteilung. «Eine Inflation wirkt ab einem bestimmten Niveau selbstverstärkend und ihre Bekämpfung führt dann zu einer scharfen Rezession. Dieses Risiko will jede Regierung vermeiden», fasst Brunetti zusammen.
Trotz aller Kritik an der ultraexpansiven Geldpolitik bewertet Brunetti die massiven fiskalpolitischen Programme während Corona als gerechtfertigt: «Bei einem weitestgehend exogenen Schock wie der Covid-Pandemie ist es angebracht, extreme Auswirkungen wie den Zusammenbruch gesunder Firmen aktiv zu verhindern.» Leider hatten nicht alle Länder den makroökonomischen Spielraum, den die Schweiz genoss. Hinzu kommt, dass insbesondere die USA zusätzlich zu den Pandemiemassnahmen weitere Fiskalpakete auferlegte, um anderweitige Probleme zu lösen. «Die Erhöhung der US-Staatsausgaben, kombiniert mit einer boomenden Wirtschaft und zunehmender Knappheit auf den Arbeitsmärkten, ist eine stark inflationstreibende Mischung», so Brunetti. Ökonominnen und Ökonomen sind sich einig: Diese Programme torpedieren die Bemühungen der Zentralbanken, gegen die Inflation zu kämpfen.
Die (Un-)Abhängigkeit der SNB
Neben der US-amerikanischen Geldpolitik hat auch die Europäische Zentralbank (EZB) einen starken Einfluss auf die Inflation in der Schweiz. «Der Wechselkurs CHF – EUR ist zentral», so Brunetti, «und eine starke Auf- oder Abwertung kann das Ziel der Preisstabilität gefährden.» Obwohl die Schweizerische Nationalbank (SNB) grundsätzlich von der EZB unabhängig ist, ist sie gezwungen, zur Vermeidung von Kursschocks zu intervenieren. Schneider interessiert Brunettis Meinung zum «Problem» der Überbewertung des Schweizer Frankens. Diesem würde Brunetti aktuell mit einer gewissen Lockerheit begegnen: «Die magische Grenze von CHF 1.20 entspricht nicht mehr den aktuellen Inflationsdifferenzen – das wäre heute eine deutliche Unterbewertung des Schweizer Frankens.» Viel angebrachter ist laut Brunetti mindestens eine Parität von Schweizer Franken und Euro, auch weil das hilft, den Inflationsdruck zu reduzieren. Nichtsdestotrotz hat die SNB einen starken Sprung des Wechselkurses zu vermeiden – und ist damit in gewisser Weise an die EZB gebunden.
Trotz der Frankenstärke sollte die SNB laut Brunetti keinesfalls am Kapitalmarkt als Staatsfonds aktiv werden: «Ziel der SNB ist das Betreiben von Geldpolitik, nicht das Geldverdienen mit ihren Anlagen.» Mit den hohen Bilanzwerten der SNB wie eine Geschäftsbank Renditen zu erwirtschaften, kann dem Ziel der Währungsstabilität entgegenwirken. Noch gefährlicher ist laut Brunetti aber die Politisierung der SNB: «Die SNB hat mit der restriktiven Geldpolitik, Zinserhöhungen und dem Abbau ihrer Bilanz einige Herausforderungen zu stemmen. Zusätzlich die AHV zu finanzieren und Fondsrenditen zu generieren, das passt nicht unter einen Hut.» Neben dem Hauptziel der Geldpolitik entstehen natürlich Gewinne – allerdings als Nebeneffekt. Diese werden dem Bund und den Kantonen ausgezahlt. «Das soll auch so bleiben», meint Brunetti.
Steckbrief Adrian Schneider
Funktion: Leiter Investment Center, Graubündner Kantonalbank
Jahrgang: 1985
Familie: Verheiratet, zwei Kinder
Ausbildung: Berufslehre als Informatiker, im Anschluss Studium der Wirtschaftswissenschaften mit Abschluss als Master in Banking and Financial Management an der Universität Liechtenstein. Weiterführende Ausbildungen als Chartered Financial Analyst (CFA), Financial Risk Manager (FRM) und Chartered Alternative Investment Analyst (CAIA).
Was bedeutet die Zinswende für Anlegerinnen und Anleger?
Drei Fragen an Adrian Schneider, Leiter des GKB Investment Center
Die Inflation ist hoch, die Realzinsen sind negativ: Die Sparer verlieren Geld. Was empfiehlt die GKB ihren Kundinnen und Kunden in einem solchen Umfeld?
Wir empfehlen unseren Kundinnen und Kunden schon seit längerem, Sachwerte wie Gold, Immobilien und Aktien in die Anlagestrategie zu integrieren. Diese bieten Schutz vor erhöhter Inflation und sichern die Kaufkraft.
Aufgrund der restriktiveren Geldpolitik kann eine Rezession in den kommenden Monaten nicht mehr ausgeschlossen werden. Macht es Sinn, weiterhin in Aktien zu investieren, wenn die Wirtschaft schrumpft?
Ja, es macht Sinn, weiterhin in Aktien zu investieren. Zum einen, weil der richtige Ein- und Ausstiegszeitpunkt in der Praxis schwierig zu finden ist, und zum anderen, weil sich die Wirtschaft und damit auch die Aktienanlagen erholen werden. Dies war immer so und wird auch dieses Mal so sein. Wir empfehlen jedoch in einem solchen Umfeld die aktive Selektion umso mehr. Auch in dieser Phase des Wirtschaftszyklus gibt es Gewinner und Verlierer.
Die Zinsen steigen, das sind doch gute Nachrichten für Sparerinnen und konservative Anleger. Ist es bald wieder sinnvoll, mehr Anleihen in den Portfolios zu haben?
Kurzfristig wird dies zu tieferen Marktbewertungen von Anleihen führen. Die höheren Zinsen machen Anleihen aber wieder vermehrt als echte Ergänzung interessant. Zu beachten ist jedoch, dass die Risikoaufschläge und Zinsen im historischen Vergleich nach wie vor tief sind. ■